Erklärungsnot

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Mit größter Mühe erträgt er die Liebe, die sich aus der Nachbarswohnung in seine vier Wände kämpft und dort mächtig gewaltig seine Bilder und Vorstellungen von Glück und Zufriedenheit radikal ins Reziproke stellt, Wände einfärbt, fest deckend, wie gesetzlose Kaligraphie eines Zustandes, den er in all den Jahren des Erreichens völlig vergessen hat, weil er dachte, das kommt schon irgendwann. Und dann ist es zu spät und das einzige, das ihm geblieben ist, ist die Polizei zu rufen, um die lautstarke Liebe nebenan unterbinden zu lassen.

Er denkt, er habe nach dem ganzen Schaffen auch mal Ruhe verdient, während all das Verpasste, all die ungelebte Nähe auf leisen Sohlen in seine Wohnung geschlichen kommt und unmerkbar leise um ihn herum kreist. Mit einem Sicherheitsabstand, den er nun bis an sein graues Lebensende alleine ertragen muss. Für die Liebe ist es egal, ob jemand lange genug gewartet und ignoriert hat. Mit jedem Augenblick des Abgewiesenwerdens nahm sie sich einmal mehr den Vorsatz ihn nicht mehr zu begünstigen. Und dann war sie konsequent.

Und jetzt darbt er vor sich hin, nach dem Feierabend, nach dem ehrgeizigen Schaffen und greift alle paar Tage zum Hörer um die Liebe nebenan unterbinden zu lassen.

So schnell ist das Leben verwirkt.

Auf, nach vorne

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Knackende und knarzende Fußsohlen eilen leise über warmes Holz. Sonst Stille in der Wohnung. Bettwärme an meinen Händen, Füßen, Wangen, ach überall. Draußen ist Sonne und Sonntag und mittelalter Morgen. Mit Frost und Winter und dem ganzen Scheiß, den man sich lieber vor beschlagenen Fenstern anschaut. In der Küche tropft der Hahn, dampft noch der Kaffee des Moments, als man sich noch vor dem Schlaf retten wollte, nur wenige Stunden ist das her. Bierflaschen nehmen Raumtemperatur an und den Raum ein. Hier und da verliert sich Kohlensäure im Nirgendwo, hört man Atmen aus den Betten der Anderen. Auch mal ein Husten oder Schlafstöhnen.

Ich bin auch wach. Höre dir beim Flüchten zu, knülle deinen Namen und deine Telefonnummer auf dem Nachttisch zur völligen Anonymität. Schließe die Augen und höre, wie eilig du deine Schuhe bindest, aus Angst ich könnte dich noch mal in der Tür erwischen. Ich warte eigentlich auf gar nichts.

Dann knallt die Tür und deine Flucht klingt eine Etage tiefer schon ruhiger. Höre deine Schritte durch das Fenster im Sonnenschein verschwinden, während du an den ersten alten Menschen vorbeiziehst, die nicht verstehen und nicht verstehen brauchen. Einmal blickst du zurück, fragenlos und müde.

Dass die Menschen keine Committments mehr brauchen, nur kurze Nähe, liegt vermutlich daran, weil sie es vergessen haben. Oder flüchten müssen.

Empor 2

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Die See, die sich stolz vor unseren Blicken ins Unendliche auszubreiten schien, war aufgewühlt und hektisch. Fast hatte man den Eindruck, als würde man auf dem Rand eines gigantischen Emailletopfes sitzen, in dem sich kochendes Wasser bedrohlich aufschäumte. Zu unseren Füßen droschen die heran gedrückten Wassermassen ohrenbetäubend in hoher Frequenz in die Brandungshohlkehlen der Steilküste und schossen als gigantische Fontänen am Kliff empor. In weiter Ferne hatten die angeschwemmten Gesteinsbrocken der zerschmetterten Klippen einen Steilküsten-Abschnitt zum Einsturz gebracht. Wie in Zeitlupe sackten die felsigen Landoberflächen in sich zusammen und verschwanden in der sich aufbäumenden Gischt. Es schien, als würde sich das Wasser gewaltsam all das zurückholen zu wollen, was es vor Milliarden an Jahren selbst auf die Erde gebracht hatte. Weiterlesen

Mit dem Clown

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Er hatte sich dazu entschlossen, nicht direkt aus Deutschland nach Afghanistan zu fliegen, sondern von Zagreb aus. Während des Fluges von Berlin nach Zagreb befreite er sein schwarzes Notizbuch, das er vor drei Jahren in Bosnien auf einem Markt gekauft hatte, von der Klarsichthülle. Sein Blick schweifte durch das kleine Fenster auf die Wolkendecke und den blauen Horizont. Nichts anderes war zu sehen. Mit einem schwarzen, abgekauten Kugelschreiber begann er zu schreiben: Weiterlesen

La vie

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Langsam rann der Schweiß an meinen Schläfen hinab, kroch über die Jochbeine und blieb schließlich in den Bartstoppeln hängen. Unter meinem Haaransatz pochte eine unter Anstrengung vorgetretene Vene rhythmisch vor sich hin; Talg glänzte auf meiner Stirn im Tageslicht, das durch das Treppenhausfenster in der Dachschräge zu meiner rechten auf mich fiel. Der Tag war noch jung und schwül. Weiterlesen