Everything you do is a balloon

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Sie stoppten uns auf einer maroden Landstraße in Bosnien. Nicolai lenkte unseren VW-Bus träge und müde durch die Morgendämmerung. Ich musste in Montenegro mit dem Kopf an der Beifahrerscheibe eingeschlafen sein, da war es noch nachts. »Alter«, rief er nervös und rüttelte mich an der Schulter, so dass ich zusammenfuhr. Unsere Windschutzscheibe war beschlagen und schwitze auf das Armaturenbrett. Sie waren zu fünft oder zu sechst und vermummt und sahen im Großen und Ganzen so aus, als würden sie am Ende der Welt patrouillieren. »Alter, was ist das denn? Was soll ich jetzt machen?«, sagte Nicolai und wurde panisch. Nicolai ging vom Gas und der Bus rollte immer langsamer werdend weiter. Noch 30 Meter. Ich sah, wie einer der Typen eine Waffe zog und mir schossen schlagartig ziemlich fremde Gefühle durch den Bauch. »Ach du Scheiße.«
Nico und ich sahen uns an, keiner von uns traute sich, etwas zu denken, etwas zu sagen. Wir blieben stehen und dann ging alles eigentlich ziemlich schnell. Sie zerrten uns aus dem Bus und schmissen uns in den Dreck. Sie brüllten etwas, das wir nicht verstanden, vermutlich war es serbisch. Zwei von ihnen kletterten in den Bus und wühlten in unseren Sachen, ich hörte wie das Essbesteck und das Emaille-Geschirr am Straßenrand landete. Dann zogen sie Nicolai hoch und drückten ihn an den Bus und hielten ihm die Waffe ins Gesicht. Er musste den Mund öffnen, damit man ihm die Mündung zwischen die Zähne schieben konnte. Ich hörte wie er weinte und das machte, dass ich auch weinen musste. Dann zogen sie mich hoch und schubsten mich vor den Bus, traten mir ins Gesicht und zerrten mich wieder hoch. Meine Trommelfelle mussten bei den Tritten was abbekommen haben, denn ich hörte nur noch Knacklaute und ein dumpfes Zerrgeräusch. Nicolai musste sich mit dem Rücken zu mir stellen, sodass wir Rücken an Rücken standen. Dann setzte man mir die Pistole an die Stirn und drückte ab. Die Kugel trat aus Nico’s Schädel wieder aus und schlug durch die Frontscheibe in den Bus ein.

Die Nein’s, die Warte-doch’s und die Gib-mir-noch-kurz-Zeit’s

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Als du gegangen bist und ich mich nach einer Ewigkeit aus dem Bett erhebe, ist es still in mir geworden. Wie ein Echolot hängt das Knallen der Tür in der Zeit fest. Es ist still in mir geworden. »Sag was dazu, du selbstgerechter Wichser.«

Fleischgewordene Flüstergewalt erstarrt zu einem Augenblick. »An deiner Fassade zerbrechen meine Bemühungen, zerbricht meine Gewissheit, zerberstet die ganze Irritation, die du mich fühlen lässt.« Ich zähle die Neins, die Warte-dochs und die Gib-mir-noch-kurz-Zeits, die ich in mir festhalte, wie so ziemlich alles, wenn man versucht in meinen Orbit einzudringen. »Deine Schutzmauern beschützen dich nicht, sie sorgen nur dafür, dass du dich alleine fühlst.« Ich versuche deinen Blicken den Mund zuzuhalten, aber ich warte was passiert. Wie eigentlich immer. Es ist still in mir geworden.

Und irgendwann gehen sie alle. »Stehst dann alleine in deinen Gemäuern auf dem Gipfel der Welt, wo es nichts gibt, das deine Schreie übertönt. wo dich trotzdem niemand hört, weil es  e i n f a c h  zu weit weg ist. Da wo du das Echo bist und nur der Schall dich versteht.«

Ich wische Gewissheit über schmutzige Straßen, in denen ich betrunken randaliere. »Ich höre dich nicht. Vielleicht hast du nie was gesagt, was wirklich für dich von Bedeutung war.« Es ist so still in mir geworden. »Oder für mich.« Auf unserem Echolot kam nie etwas zurück. Vielleicht gab es einfach keine Zeit. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als echt zu sein, bei dir zu sein, all die Dinge zu sagen, die ich nicht sagen kann. Ich wünschte, ich könnte am Ende meiner abstrakten Gedanken stehen. Die Faust ballen, mich verdammt noch mal zusammenreißen und dir sagen, wer ich bin. Aber es ist still in mir geworden. »Wer bist du?« Jetzt wo du gegangen bist, fällt es mir wieder ein. In der Stille.

Infléchissement

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1. Da ist dieser Junge, der halb durchsichtig, halb unsichtbar in der Strömung seiner Melancholie nach Antworten auf dem Grund taucht und jedes Mal mit schwarzen Steinen nach der Brandung wirft, wenn er wieder auftaucht. Neugier reißt Breschen in seine Ängste. Über viele Jahre wurde bei ihm abgeladen, und kein Willen war heiß genug, das alles zu verbrennen.

2. Die ganze Wut, die er oben – am Anfang – fein säuberlich in seinem Gedächtnis ordnete und stapelte, war für seine Begriffe durchgestrichen. Er hatte die Linien gezogen. Weiterlesen

Intermolekular

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Die Zeiten, in denen wir uns wortlos verstanden, in denen die Schwerkraft von Gedanken aufgehoben war, alles außer uns zu Boden fiel, wir rücksichtslos aus unseren Quellen getrunken haben, waren wild und intermolekular. Wir waren eins, am anderen Ende der Zeit, wo wir unseren Seelen durch die Gegenwart gefolgt sind und unter freiem Himmel nach Hause blickten.

Du hast gesagt, dass man sich nur fest genug an den Händen halten muss damit es beim Anfang bleibt.

Wie ich hier an unserem Grab stehe und meine Blicke nach unten fassen, den Raum zwischen uns ertasten, das Reziproke unserer Träume verstehen, lasse ich sie los – all die Erinnerungen und Träume, die ohne deinen Herzschlag nur fossil verblassen würden. Ich fange zweimal denselben Satz an, meine Tonlage hält unsere Hände fest und ich friere immer wieder ein, weil ich nicht weiß, was ich mit all den Worten machen soll.

Vielleicht haben wir irgendwann noch mal die Möglichkeit mit der Wahrheit zu spielen. Irgendwo, wo wir nicht eins sein müssen um wieder glücklich zu sein. Einen Ort, an den wir glauben und an dem wir nicht vorsichtig sein müssen, mit uns.

»Ich habe losgelassen. Alles, was ich jetzt gerade fühle, ist, wie unsere Hände auseinander gleiten. Mein Kopf füllt sich mit Beat und den Dingen, die dir folgen müssen. Weil sie mir alleine nicht gehören können.«

Hier ist der Anfang und ich gehe fort.

Luciferin

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Ich erfinde eine Erzählerstimme und kleide sie mit einer ordentlichen Garderobe ein. Sie macht einen vernünftigen und vertrauenserweckenden Eindruck und ich erzähle ihr, dass wir nach Sonnenuntergang über einen leuchtenden See aus Strom spazieren werden.

Meine Gedanken kondensieren in der Geduld des Zuhörers und ich stelle fest, dass man eigentlich nie dem zugehört hat, was ich nicht erzählen konnte. Keine Dinge, die ich in mir versteckt gehalten habe, vor anderen, aber vor allem vor mir, sondern Dinge, für die ich keine angemessen Worte gefunden habe. Worte, die in etwa das beschreiben, was mich zu einem Schweigegelübde verdammt hat. Die ganzen Enttäuschungen, die ein- und ausgestiegen sind, wie nicht zahlende Fahrgäste, die mich begleitet haben.

Ich erzähle der Erzählerstimme von der warmen Müdigkeit des Zuhörens, der unglaublichen Lautstärke des Schweigens, der lähmenden Stille bei der Suche nach Worten und der leuchtenden Farbe des angehört Werdens. Meine Schilderungen sinken leise zu Boden und legen einen dünnen Film auf allem, das meinen Schatten verdient hat. Die Erzählerstimme unterbricht mich vorsichtig und fragt, was die Erdmännchen-Armee soll, ob das nicht viel zu absurd sei, erzählt zu werden und ich muss lachen. Ich gratuliere ihr zu dieser Beobachtung und merke an, dass dieses Quent an Aufmerksamkeit und Kritik genau das Maß ist, an dem ich die Gegenwart messen werde.

Wir bahnen uns den Weg durch das Dickicht, dort hinten beim Waldrand, durch einen Schwarm Glühwürmchen; atmen Luciferin und Sauerstoff und die Erzählerstimme spricht von einer Idee, von einem Anfang, die mich erleuchten sollen. Auf dem See kitzelt und knistert es laut unter unseren Füßen. Vielleicht bleiben wir hier noch einen Moment, es gibt mehr zu bestaunen, als ich anfangs dachte.