Da

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»Zum Nirgendwo, und bitte keine Umwege«, sprach ich und mir war, als hätte ich das gar nicht gesagt. Der Taxifahrer blickte mich etwas gelangweilt durch seinen Rückspiegel an, nickte und fuhr los. Er trug eine sandfarbige, speckige Lederweste über einem grünen Shirt und eine dunkelblaue Jeans. Ich sah aus dem Autofenster.

Meine Augen folgten den Dingen, die an uns vorbeizogen oder an denen wir vorbeizogen – Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was von beidem.

Von Baum zu Baum sprangen meine Blicke, tasteten kurz schemenhafte, verschwommene Umrisse ab, blieben hier und da an etwas rotem oder etwas blauem hängen und vergaßen. So sehr ich mich auch bemühte, ich blieb flüchtig. Da, meine Wahrheiten; da, meine Lügen; da, meine Erinnerungen; da, wo ich mal war; da, wo ich wünschte, zu sein; da, unendlich viele Augenblicke, in denen ich nicht gedacht habe. Ich schoss wie ein Komet durch den unendlichen Raum, der mir zu klein war und überall zwickte, wie etwas, das einem nicht mehr passte.

Meine Augen sprangen hin und her. Als ich noch ein Kind war, habe ich es geliebt, wenn ich mit dem Zug fuhr. Dieses Springen der Augen stellt sich immer ein, wenn man aus dem Zugfenster schaute und von Mast zu Mast oder Baum zu Baum hüpfte, die an einem vorbeizischten. Manchmal beobachtete ich auch die Augen der Menschen, die mir gegenübersaßen und aus dem Fenster starrten und der vorbeiziehenden Landschaft folgten und ich fragte mich, ob sie wirklich beobachteten oder ob sie auch Fragen hinter sich ließen.

Manchmal ist die Welt zu groß und zu laut um sich nach vorne zu trauen und für sich selbst ein Plädoyer zu halten, das bitter notwendig ist.

Wir verschwinden in den Straßen und meine Hand berührt die Fensterscheibe.

Advertising Holidays

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Der Turm aus Werbeprospekten auf meinem Küchentisch wuchs von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer höher, und drückte auf die schwere Last des Briefes meiner Mutter. Mich beruhigte das irgendwie, es hielt die Worte von mir fern, die ich sowieso nicht begreifen konnte. Manchmal saß ich morgens, abends oder auch ganze Tage an den Wochenenden einfach nur an diesem quadratförmigen Holztisch, starrte den Papierstapel an, oder aus dem Fenster, trank Kaffee und genoss die Stille, die außerhalb meines Kopfes in diesen vier Wänden herrschte. Ich war dankbar für die Schwerkraft, für ihre Macht und ihre Möglichkeiten, Dinge unter anderen Dingen zu begraben, verschwinden zu lassen, gar vergessbar zu machen. Aus einem Grund, den ich nicht verstand, ging ich nicht so weit, den Brief ungelesen oder ungeöffnet wegzuwerfen. Ich war mir sicher, dass das ein Fehler gewesen wäre und mich endgültig in ein Chaos gestürzt hätte, dessen Kontrolle mir aus den Händen geglitten wäre. Weiterlesen

In den Straßen

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Es ist so unendlich heiß in unseren Köpfen. Wir verbrennen uns die Finger und schieben manchmal Worte ins Schweigen. Nachts kühlen wir uns stromernd in den Straßen ab und schreiben, kleben und flüchten vor den vielen Dingen, die wir zu suchen vergessen haben. Ich schmeiße meine Gedanken an dreckige Wände und sehe sie zerbrechen. Wenn es ein Gefühl der Freiheit gibt, dann bin ich in solchen Augenblicken ziemlich nah dran.

Empor

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Wir probten den Aufstand für den Ernstfall; saßen auf warmen Felsvorsprüngen an den Steilküsten am Rande der Welt und gestikulierten wild. Der Weg hierhin war beschwerlich und mit Zweifeln gepflastert. Auf den großen, grünen Weiden vor dem Nirgendwo, weit vor den Steilküsten, machten wir Rast und aßen ein paar Fragen, die wir zuvor sorgfältig in Butterbrotpapier eingewickelt hatten. Ich hatte die Idee, spazieren zu gehen; hier, wo das Gras hüfthoch wuchs; hier, wo man in Vergessenheit geriet, wenn man sich duckte und nichts mehr zu sehen war außer der Wellengang auf den Feldern. Es hätte uns nichts ausgemacht, wenn die Wege hier ihr Ende gefunden hätten. Unsere Füße wären still an den Grabsteinen einiger Antworten vorbei geschritten und hätten Spuren hinterlassen; Fährten, denen hier niemand mehr folgen würde.
Danach kam der Anstieg und das Wissen, dass wir uns bestimmt am Himmel stoßen würden. Es wurde Zeit loszulassen, und das taten wir auch. Als wir an den Steilküsten ankamen, sahen wir uns an. Wir hatten etwas zu sagen.

Du bist dort und ich bin hier

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Das Mädchen auf dem kleinen Fahrrad, das rot lackiert die Sonne matt zu reflektieren versucht, trägt ein weißes Kleidchen mit gelben Punkten darauf. Sie ist eine Projektion meiner Tagträume, eine Fata Morgana, ein Hirngespinst. Ihre blond gelockten Haare werden durch eine dunkle Holzspange zusammengehalten. Ihr Pony wird durch die Brise nach links gepustet. Sie winkt mir ernst dreinblickend und bewegt ihre Lippen. Mit jedem Schritt, den ich auf sie zuwage, wird es ein bisschen heller und wärmer. Ich schreie aus lauter Kehle: »Wo bist du, wo bist du?«

Blind tappe ich orientierungslos in gleißend hellem Licht, der mich wie dicker Nebel umhüllt. Meine Hände machen Greifbewegungen, meine Augen beginnen zu brennen. Aus der Ferne höre ich eine Stimme etwas rufen; es ist nicht meine: »Du bist dort und ich bin hier.«