Conquer your soul

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An einem Morgen übergab man ihm kurz nach Sonnenaufgang drei Wünsche, die er sich selbst einteilen konnte. Es war einer dieser Morgen, die sich rätselhaft in die Länge zogen; etwas also, das ihm nicht unbekannt war. Zwischen frisch aufgebrühtem Kaffee und Weizenbrötchen dachte er nach. Sein Blick klebte am Horizont. Als er die Tasse vom Mund absetzte und die Augen zusammenkniff, wurde alles viel leiser als sonst. Im Namen aller Gehetzten sprang er wie von der Tarantel gestochen von seinem Stuhl hoch, ließ die halbvolle Tasse Kaffee aus seinen Händen gleiten, eilte schnurstraks aus dem Zimmer, stieß sich sein Knie am Türrahmen, humpelte mit dem Rest Energie, die ihm verblieb, zu seinem Notizbuch und schlug eine leere Seite auf. Er hatte Atemnot, schloss seinen Mund und lauschte aufmerksam dem Dröhnen der Stille. Das Notizbuch und der Stift ruhten fest umklammert in seinen Händen. Das Herz pochte laut und schnell in seiner Brust, der Puls wummerte sich auf leisen Sohlen durch seine Gehörgänge. Dass er schon schrieb, merkte er erst, als er seinen Blick senkte. In krakeliger Schrift stand da geschrieben: »Was macht ihr nur mit uns?« Weiterlesen

Irgendwo

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Er hatte sich dazu entschlossen, nicht direkt aus Deutschland nach Afghanistan zu fliegen, sondern von Zagreb aus. Während des Fluges von Berlin nach Zagreb befreite er sein schwarzes Notizbuch, das er vor drei Jahren in Bosnien auf einem Markt gekauft hatte, von der Klarsichthülle. Sein Blick schweifte durch das kleine Fenster auf die Wolkendecke und den blauen Horizont. Nichts anderes war zu sehen. Mit einem schwarzen, abgekauten Kugelschreiber begann er zu schreiben: Weiterlesen

Textur

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Meine Pechsträhne begann auf einer Party im Damenviertel. Während ich meine zweite Schachtel Gauloises anbrach, beobachtete ich einen Typen, der ein Camouflage-Shirt mit der Aufschrift No Rain No Pain trug. Wasserstoffblondgefärbte Locken hingen ihm ins Gesicht. Er trug eine goldene Kreole im rechten Ohrläppchen und hatte leichten Pflaum. Ein Bändchen an seinem linken Handgelenk verriet mir, dass er einer von der Sorte war, der sich das ganze Jahr auf das SonneMondSterne-Festival freut. Er stand etwas verloren in der vollgequalmten Küche zwischen diesen jungen, dynamischen Menschen rum und glotzte apathisch in seinen Wodka. Ich starrte ihn an und so langsam merkte er meine Blicke. Als ich 16 war, sah ich ihm ziemlich ähnlich. Damals stand ich aber nicht abgehalftert auf Partys herum, sondern buchte Pauschalreisen an den Balatonsee, wo ich dann zwei Wochen lang jeden Abend gefühlte drei Liter Sangria trank, im Southside zu Offspring auf Tischen tanzte, Freunde dazu ermunterte an der Mr. Siofok Wahl teilzunehmen und zwei Wochen lang jeden Tag in meiner eigenen Kotze aufzuwachen. Die Kontoauszüge meines Karma-Kontos machten mir deutlich, dass ich in letzter Zeit über meine Verhältnisse gelebt hatte und so beschloss ich den H.P. Baxxter-Verschnitt anzusprechen. Er sah so aus, als hätte er lange Zeit nicht mehr Plus gemacht. Weiterlesen

Geräuschkulissenmut

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Ich sage: »Da drüben traue ich mich, neu anzufangen.«

Du sagst: »Es sieht so aus, als wäre das der richtige Ort dafür. Tu es.«

Ich habe vergessen, dass Normalität seine ganz eigene Geräuschkulisse hat.

Ich frage: »Woher soll ich wissen, was ich zuerst machen soll?«

Du antwortest: »Indem du dir diese Frage stellst, machst du den Anfang.«

Mir wird bewusst, dass ich eine eigene Vorstellung von einer Geräuschkulisse aufbauen muss.

Ich sage gespielt selbstbewusst: »Das Tempo werde ich selber bestimmen…«

Du entgegnest mir charmant: »Es dreht sich immer um das eigene Tempo.« Weiterlesen

Notizen im Mohnfeld

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Wenn man erst mal knapp 200 Tage tot ist, stellt sich innerlich ein stumpfes, schlauchendes Gefühl ein. Fast kräftezehrend. Obwohl alles sehr warm und hell zu sein scheint, verliert man den Glauben an die Trennung von Tag und Nacht. Die ersten 100 Tage waren sehr eigenartig. Wir haben uns lange darüber gestritten, ob es überhaupt noch Sinn macht über Zeit und ihr Verstreichen zu sprechen, geschweige denn darüber nachzudenken. Etwas, das aufhört, das endet, ja, das passiert einfach nicht mehr. Nach einem Ende gibt es für die Sache, die aufhört zu existieren, absolut nichts mehr. »Unvorstellbar«, sage ich dazu und du nickst kurz, lächelnd. Dieses Lächeln. Es ist ein Ornament, eine Verzierung auf müde gewordenen Mauern. Der Putz bröckelt. Weiterlesen