Noisy Silence

Allgemein

Ich sitze in zigarrenbraunen Ledersesseln, auf klapprigen Barhockern, zwischen ausrangierten Flugzeugsitzen, in denen tausende Zigaretten und ebenso viele Gespräche begonnen und beendet wurden. Ich weiß nicht viel, kann auch nicht viel sagen, das einzige, das ich zwischen den Rauchschwaden spüre, ist meine kalte Hand, in denen die eisgekühlten Drinks mit einer sonderbaren Eigendynamik rotieren.

Alles ist wie durch ein Kaleidoskop betrachtet. Ich werde erschüttert und die Formen ändern sich kurz und alles was ich tue, ist dem wartend zuzuschauen. In den kurzen Nächten sehe ich mich Geld abheben – kurze und konsequente 50-Euro-Gesten, mit denen ich meine Wahrnehmung in Raten frei kaufe. Lösegeld auf Ratenzahlung. Ich betrachte mich im schwangeren Licht der Berliner S-Bahn-Fensterscheiben. Ich betrete diese Orte und sehe, wie sich dieser Typ – Marco ist sein Name – Battles mit schwierigen Menschen zur elektro-konservierten Hip-Hop-Oldschool liefert. Immer wieder berühren sich unsere Gläser. Er spendiert mir Zigaretten und fuchtelt mit den Armen. Ich sage ihm, dass das ziemlich wild ist und er lächelt mich aus kleinen Augenschlitzen verstanden an. Im Prince Charles am Moritzplatz. An der Bar bestelle ich einen weiteren Drink, in mir tobt so eine angenehme, leise Stille. Ich setze in diesen Tagen aus Weirdness und Beobachtung auf den passiven Stil. Immer mit dem Wunsch, Dinge unerledigt hinter mir zu lassen, mit dem Gefühl in einer synthetischen Spiralblase Loop für Loop dahin zu treiben.

Ich gehe hin und her und mich finden die Dinge, die mich kurz überwältigen. In der Geronimo-Bar sehe ich mich über Kroatien und Bosnien reden und sauge die Gesprächsfetzen meines Gegenüber auf wie ein viel zu trockener Schwamm. Es wird über Etgar Keret philosophiert, dann wird die Nacht noch ein bisschen dunkler. Hinter Vorhängen leuchten Laternen orange auf die Straßen. Die U1 schiebt sich leuchtend durch die Stadt. Am S-Bahnhof Warschauer Straße meditiert jemand im Schneidersitz in seinem eigenen Erbrochenen. Man hat ihm die Schuhe geklaut. Bonus.

Ich höre gemeinsamen Erinnerungen zu, sehe alles ganz klar vor mir, das Damals – nur eine kleine Ecke weiter. Da ist Glück in mir. Ich halte es fest. Neben uns fummelt ein Paar ziemlich heftig. Er trägt polierte Berluti-Schuhe und glaubt, ich könne nicht sehen, wie er dem Mädchen seine Hand unter der Lederjacke zwischen die Beine schiebt. Es läuft Time Capsule von Air und ich sage meinen Freunden, dass alles gut ist und das sehen sie auch so und dann verschwinden wir in schwarzen Straßen am Ostkreuz.

In der S7 schlafe ich ein und wache viel zu weit in Marzahn auf. Das Kaleidoskop, es rotiert ohne Unterlass. Ich fahre zurück und schlafe wieder ein. Wache Westkreuz auf, ohne Geldbörse, träume von Family Guy, den vergangenen Wochen, in denen mich meine beobachtende Passivität an die Weggabelungen der Verwirrung brachten, schmerzhafte, aber so gute und großartige Verwirrungen, die ich am liebsten für einen Moment länger festhalten will. Weil ich mich verknallen will und ja sonst nicht die Zeit dafür habe. Und das ehrlich gesagt auch mal wieder brauche. Ich träume von einem Ort, an dem ich noch nie war und beschließe noch im Traum, dahin zu reisen, und kurz bevor ich aufwache, steht das Kaleidoskop still mit seinem metallischen Geruch und erinnert mich an das Schreiben:

Dieser Drang, zufällig auf Unbekanntes zu stoßen und darin einzutauchen, zu sehen, was es mir geben kann und was ich geben kann, das ist das einzige, das ich nicht wirklich in Worte fassen kann. Ich kann es nicht erklären, weil ich es selber bis heute nicht verstanden habe, obwohl es so essentiell und wichtig für mich geworden ist. Obwohl mir bewusst ist, dass es andere Dinge gibt, in denen ich besser bin als im Schreiben, folge ich diesem Gefühl weiter bis in die Unendlichkeit.

Es ist so weird. Als hätte ich irgendwann einen Bumerang geworfen, ohne zu wissen, das es ein Bumerang ist. Und jedes Mal, wenn das Ding zurückgeflogen kommt, bin ich völlig überwältigt. Ich werfe erneut, immer in der stillen Hoffnung, dass das Ding noch mal zurückkommt. Ich wurde mein Leben und mein Leben wurde ich. Trotz der vielen Zweifel und der Zerrissenheit. Ich hatte meine Wahrheiten, meine ganz eigenen, endlich gefunden und begann zu experimentieren. Mit mir. All das, was ich heute zu Papier bringe, offline wie online, ist eine ganz andere Wirklichkeit, in der sich Fehler, zirkuläre Dramaturgien, Wahrheiten, Lügen und Fiktion vereinen und für etwas stehen, das ich bin. Ich habe mich mit diesen Experimenten weiterentwickelt, allesamt Resultate meiner Konstruktion von Gedanken und Eindrücken, Erlebtem und Sehnsüchten. Manchmal weiß ich nicht, was ich sagen will und so empfinde ich auch meine Schreiberei. Alles was ich schreibe, ist cum grano salis. Mit diesem Drang, noch ein Stück weiter zu gehen. In der Realität und in meiner ganz eigenen Vorstellung davon. Manchmal sind es ganz profane Dinge, manchmal auch Extreme. Lange Intros, die mit dem Beginn der eigentlichen Handlung abrupt enden. Wie ein Ausschnitt, wie ein Frame. Und einem Gefühl der absoluten, stillen Hingabe.