»Vamonos, amigos, vamonos!« ist ein umfassender Fotoband mit pointierten Reiseberichten über eine viermonatige Odyssee durch Südamerika, die ich und meine Freundin K von September bis Dezember 2018 gemacht haben. Mit jeweils einem sechs Kilogramm leicht gepackten Rucksack reisten wir via Bus, Auto und per Anhalter u.a. durch Argentinien, Chile, Bolivien, Peru und Ecuador. Sowohl ich als auch K haben während dieser Zeit jeweils einen Whatsapp-Broadcast für Familie, Freunde und Bekannte geschrieben, die nicht dem klassischen Wetter-und-Strand-sind-schön-Schema entsprach, sondern einer Sammlung von Abenteuer-Anekdoten mit dazugehörigen Fotografien. Aus beiden Broadcasts ist dieses Buch entstanden.
Auszug:
Wahre Geschichte: In der eisigen Steppe nördlich von Feuerland prokrastiniert eine 20-köpfige Herde frei lebender Mini-Alpakas im Morgengrauen nahe einer rumpeligen, einspurigen „Landstraße“ und knabbert an knöchelhohen Gebüschen. Ein Reisebus quält sich plötzlich über einen Hügel in ihr Blickfeld. An der Seite prankt der Name des Busunternehmens und ein grell leuchtendes, kleines Fenster, in dessen Mitte ein Gesicht zu erkennen ist, das ganz offensichtlich den Blickkontakt mit den Alpakas sucht. Die Herde stoppt synchron ihr Kauen und starrt in ein debiles Grinsen. Als der Bus einem gigantischen Schlagloch erfolglos ausweichen will, verschwindet das Gesicht ruckartig nach links und dann sofort wieder nach rechts. Die Alpakas beginnen wieder zu kauen und starren dem Bus noch eine Weile hinterher, bevor er hinter dem nächsten Hügel in dieser kargen Landschaft verschwindet.
5 Minuten zuvor: Gegen 7:30 Uhr wache ich mit gebrochenem Rücken auf meinem Busplatz auf. Die Klimaanlage pumpt sinnlos Minusgrade ins Innere. Wir sitzen dort seit fast 16 Stunden auf dem Weg nach El Calafate. Die Sitzlehne lässt sich nur wenige Zentimeter nach hinten biegen. Man schläft also quasi im Stehen in einer Tiefkühltruhe. Aber ich hatte gerade großartige 25 Minuten Schlaf am Stück. Mein persönlicher Busrekord in Argentinien. Jedenfalls spüre ich meine Beine nicht mehr. Mein Arm ist auch gelähmt. Ich weiß jetzt wie meine Körperhaltung wäre, wenn man mich in einen Reiserucksack stopfen würde. Und da meine Blase kurz vor der Explosion steht, erhebe mich lautknackend und quietschend, robbe sabbernd am Buskellner vorbei, der eine lateinamerikanische Version von Nick Frost ist, und trete brüllend die Tür zur Bustoilette ein, um mir am Pissoir zu gönnen. Auf Gesichtshöhe befindet sich ein kleines Fenster, durch das ich die aufgehende Sonne beobachte. Mein Urinstrahl knallt blechern unter meinen Ohren als ich plötzlich eine Herde flauschige Mini-Alpakas erblicke, die mich anzustarren scheint. Zum ersten Mal seit ich diesen Bus bestiegen habe, spüre ich Glück und kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Doch zu meiner Überraschung bremst der Bus abrupt und knallt in ein Schlagloch. Ich werde in dieser kleinen Bustoilette hin und her geschleudert, kann den Urinstrahl aber leider nicht unterbrechen, weswegen ich mir erst auf die rechte und dann auf die linke Hand pisse. Das warme Gefühl ist zwar auch nice, aber der unangenehme Teil dominiert. Mein Kopf kracht ruckartig gegen beide Seiten der Bordwände. Richtig gutes Timing. Aus dem Wasserhahn kommt kein einziger Tropfen. Die Papierhandtücher sind auch leer. Also stehe ich erbärmlich da, voller Urin und warte bis meine Hände trocken sind. Mein Atem kondensiert. Zurück an meinem Platz starre ich mit glasigen Augen aus dem Fenster. Ich hasse mein Leben. Nick Frost serviert Kaffee und Salzkekse, die ich dann nicht esse, weil meine Hände kontaminiert sind und ich mich nicht fragen will, welches Salz ich jetzt schmecke, wenn ich diese Kekse esse. Oh mein Gott.