Textur

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Meine Pechsträhne begann auf einer Party im Damenviertel. Während ich meine zweite Schachtel Gauloises anbrach, beobachtete ich einen Typen, der ein Camouflage-Shirt mit der Aufschrift No Rain No Pain trug. Wasserstoffblondgefärbte Locken hingen ihm ins Gesicht. Er trug eine goldene Kreole im rechten Ohrläppchen und hatte leichten Pflaum. Ein Bändchen an seinem linken Handgelenk verriet mir, dass er einer von der Sorte war, der sich das ganze Jahr auf das SonneMondSterne-Festival freut. Er stand etwas verloren in der vollgequalmten Küche zwischen diesen jungen, dynamischen Menschen rum und glotzte apathisch in seinen Wodka. Ich starrte ihn an und so langsam merkte er meine Blicke. Als ich 16 war, sah ich ihm ziemlich ähnlich. Damals stand ich aber nicht abgehalftert auf Partys herum, sondern buchte Pauschalreisen an den Balatonsee, wo ich dann zwei Wochen lang jeden Abend gefühlte drei Liter Sangria trank, im Southside zu Offspring auf Tischen tanzte, Freunde dazu ermunterte an der Mr. Siofok Wahl teilzunehmen und zwei Wochen lang jeden Tag in meiner eigenen Kotze aufzuwachen. Die Kontoauszüge meines Karma-Kontos machten mir deutlich, dass ich in letzter Zeit über meine Verhältnisse gelebt hatte und so beschloss ich den H.P. Baxxter-Verschnitt anzusprechen. Er sah so aus, als hätte er lange Zeit nicht mehr Plus gemacht.

»Ich glaube nicht, dass du morgen besser aussiehst, wenn du diesen Abend erstmal überstanden hast«, sagte ich zu ihm, zündete mir die nächste Zigarette an, erhob mein Glas und blickte ihm in die Augen. Ich hatte beschlossen, nicht übermäßig freundlich zu sein. »Bitte?«, fragte er und es bestätigte sich, was ich bereits vermutet hatte: Er war ein Spast. »Ist das Armbändchen vom SonneMondSterne-Festival?«, fragte ich ihn. »Ja. Total. Letztes Jahr waren Massive Attack da. Supergeil. Hörste hin und biste drauf, hehe«, entgegnete er mir. In meiner Brust machte sich ein dumpfer Schmerz breit, der Mond war blau und mir kam ein bisschen Kotze hoch. »Du magst Massive Attack?«, fragte ich ihn. »Ja, du auch, oder was?« – »Nein, Mann. Jetzt nicht mehr«, sagte ich und war zu tiefst deprimiert, dass Massive Attack gerade in meiner Wertschätzung gefallen war. »Wie bist du denn heute drauf«, fragte mich der Gastgeber von der Seite, der wohl Wortfetzen mitbekommen haben muss. »Ich wollte eh gerade gehen«, sagte ich und trank den letzten Schluck Wodka in meinem Glas. Ich schlängelte mich halb angetrunken zur Tür durch, verließ das Haus und setzte mich auf mein Fahrrad. Es war eine halbwegs warme Nacht und ich radelte lichtlos und emotional pleite über den Campus von Jena. Als ich die Wall of Fame an der Leutra passierte, knackte es zu meinen Füßen und die Pedale erstarrten zu Stein. Ich dachte kurz, dass es mit mir gerade ähnlich war, fluchte dann kurz und versuchte bei Hochgeschwindigkeit mit Gewalt das Tretlager zu knechten. Ich kam vom Weg ab und raste plötzlich die Böschung zur Leutra runter. Kurz bevor ich Wasser fahren konnte, ließ ich mich seitlich vom Fahrrad fallen.

Um neu anzufangen, bedarf es etwas Kapital um die Schulden auf seinem Karma-Konto zu tilgen. Niemand, der emotional pleite ist, bekommt eine neue Chance. So funktioniert und saniert sich die Welt.

Und so lag ich zwischen Gänseblumen, Löwenzahn und Brennnessel, dachte an nichts und wurde traurig. »Was zur Hölle ist denn nur los«, brabbelte ich vor mich hin. Ich blickte in blühende Baumkronen und wollte mich nicht rühren. Ich fragte mich, ob es gut war, alles liegen zu lassen oder ob es nicht doch richtig war, die Dinge weiter mit sich herum zu tragen. Ich erhob mich und beobachte das Lichtspiel der Laternen in der Leutra. Ich beschloss eine Freundin anzurufen um mir sagen zu lassen, dass doch eigentlich alles okay war. »Ich habe eine Idee«, sagte sie am Telefon, »lass uns das einfach machen: Wir fahren nach Afghanistan und suchen.«– »Okay«, sagte ich und legte auf. Ich rauchte noch eine Zigarette und beschloss mein Fahrrad zu zerstören. Wie ein Bekloppter sprang ich auf den Speichen herum, krabbelte die Böschung wieder hoch und ging nach Hause um meinen Rucksack zu packen. Ich trank noch ein Glas Wodka und legte mich schlafen. »Dann eben Afghanistan«, sagte ich halb einschlafend. Der Mond schien noch immer blau in mein Schlafzimmer und die Vögel begannen den Morgen zu feiern.